Poesie

Mannheim liest Gedichte - virtuell

 

 Welttag der Poesie - Mannheim liest Gedichte

Auch 2020 beteiligte sich das LeseZeichen am UNESCO Welttag der Poesie, der in der Metropolregion mit großem Engagement von dem kommunenübergreifenden Netzwerk Poesie getragen wird. Alleine in Mannheim waren sieben Veranstaltungen geplant. Wir hatten eingeladen, am 21. März Gedichte in der Alten Sternwarte Lieblingsgedichte vorzutragen. Unsere Gäste sollten das Programm des Tages selbst gestalten.

Leider mussten alle Veranstaltung des Tages abgesagt werden. Wir wollen aber auf den Austausch der Gedichte nicht verzichten. Deshalb haben wir alle Poesiefreunde aufgerufen, uns ihre Lieblingsgedichte zuzusenden. Hier auf dieser Seite veröffentlichen wir sie. Wir waren überrascht über die große Anzahl an Zusendungen. Ein herzliches Dankeschön geht deshalb an alle Freundinnen und Freunde der Poesie, die sich beteiligt haben. Ganz besonders hat uns gefreut, dass auch etliche selbst verfasste Gedichte eingegangen sind. Und nun wünschen viel Freude beim Lesen.

Einen Überblick über alle Online-Aktionen, die in der Metropolregion zum Welttag der Poesie 2020 durchgeführt wurden, finden Sie hier:
Netzwerk Poesie

Friedrich Hölderlin: "Der Frühling"

Am Vortag des Welttags der Poesie 2020, am 20. März, gedenken wir dem 250. Geburtstag des großen Dichters Friedrich Hölderlin. Deshalb starten wir mit ihm in unser virtuelles "Mannheim liest Gedichte".

Friedrich Hölderlin: Aus der Pathmos-Hymne

In der großen Patmos-Hymne des Jubilars fand Heidi Holme diese Passage, die in diesen Tagen vielleicht besonders intensiv gelesen werden kann.
EIN GEDANKE AUS DER PATHMOS-HYMNE

Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.

Friedrich Hölderlin

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens

Und ein drittes Gedicht von Friedrich Hölderlin bereichert unsere Sammlung. Eingereicht wurde es von Margareta Kessenich.
HÄLFTE DES LEBENS

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde ?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Friedrich Hölderlin

Leise zieht durch mein Gemüt von Heinrich Heine

Passend zum Frühlingsanfang suchte Helga Reubold ein Gedicht von Heinrich Heine aus:
ZUM FRÜHLINGSANFANG

Leise zieht durch mein Gemüt,
liebliches Geläute.
Klinge kleines Frühlingslied
Kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus, bis an das Haus
wo die Blumen sprießen,
wenn du eine Rose siehst,
sag ich lass sie grüßen.

Heinrich Heine

Willst Du im Walde weilen von Nikolaus Lenau

Auch das zweite von Helga Reubold ausgesuchte Gedicht führt hinaus in die Natur.
WILLST DU IM WALDE WEILEN

 Willst Du im Walde weilen,
um deine Brust zu heilen,
so muss dein Herz verstehen
die Stimmen, die dort wehen.

Nikolaus Lenau

Frühling von Alexandra Boisen

Dieses schöne Gedicht hat uns die Autorin zum heutigen Welttag der Poesie auf unsere Twitter-Seite geschrieben.
FRÜHLING

Die Welt erwacht aus ihrem Dornröschenschlaf
Die Blumen spriessen und Vögel zwitschern laut
Buben und Mädchen laufen, johlen draußen herum
Die Großen flanieren in Parks sowie an Seen und Flüsse
Die Damen tragen lange Kleider,  ihre Männer Anzug ohne Jacke
Auf Bänke sitzen Leute und lesen aus mitgebrachten Büchern
In Cafes sitzt und speist man in der Sonne

Alexandra Boisen

Blumen neben dem Krankenbette von Christian Wagner

Elisabet Sallinger sandte uns dieses Gedichts des Leonberger Autors. Sie schrieb uns, dass sie besonders seine Sensibilität schätze.
BLUMEN NEBEN DEM KRANKENBETTE

Gartenwinden strahlig und geflammt,
Eingefasst von blauem Seidesammt,
Braune Nelken, brechend aus der Hülle
Ihrer Kelche in der Düfte Fülle.

Ringelblumen so wie Flittergold,
Das die Julisonne aufgerollt,
Bohnenblüten an des Zweigs Geschwinge
Scharlachrote kleine Schmetterlinge.

Gartenwicken, himmelblau beschwingt
Wie ein Falter, der zum Himmel dringt,
Hehr und glanzvoll seine Flügel spaltet,
Wieder sie zur Ruh zusammenfaltet,

Standen da vor mir in einem Glas,
Da ich krank in meinem Bette saß:
Musste nicht frisch Leben sich entfachen
Bei dem Segen dieser Blumenwachen?

Christian Wagner

Der Rauch von Bertolt Brecht

Eleonore Dillinger schrieb uns, ihr Lieblingsgedicht sei "Der Rauch" von Bertolt Brecht. Leider können wir dieses wunderschöne Gedicht hier nicht veröffentlichen. Erst 70 Jahre nach dem Tod eines Autors werden seine Werke gemeinfrei, können also frei genutzt werden. Davor muss jede Nutzung durch die Rechteinhaber genehmigt werden. Meist sind dies die Erben oder die Verlage und im Normalfall ist dafür eine Gebühr zu bezahlen. Unseren Literaturfreunden empfehlen wir, mal wieder einen Gedichteband von Bertolt Brecht in die Hand zu nehmen.
DER RAUCH

 Das kleine Haus unter Bäumen am See
Vom Dach steigt Rauch
......
......

Nis Randers von Otto Ernst (Schmidt)

Zwei Gedichte hatte sich Irma Müller herausgesucht, die sie in der Alten Sternwarte vortragen wollte. Sie hat sie ihrem alten Schulbuch "Zum Sehen geboren - zum Schauen bestellt",  Ein Gedichtsband für das 7. - 10. Schuljahr (1950 im Georg Westermann Verlag Braunschweig erschienen), entnommen, das sie ihr Leben lang begleitet hat. Selbstverständlich dürfen die beiden Gedichte hier in der Zusammenstellung nicht fehlen.
N I S    R A N D E R S

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd -
ein Schrei durch die Brandung!

Und brennt der Himmel, so sieht man‘s gut:
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
gleich holt sich’s der Abgrund.

Nis Randers lugt – und ohne Hast
spricht er: „Da hängst noch ein Mann im Mast;
wir müssen ihn holen.“

Da faßt ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein!
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
ich will’s, deine Mutter!

Dein Vater ging unter und Momme mein Sohn;
drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
mein Uwe, mein Uwe!“

Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
„Und seine Mutter?“

Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.

Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muß es zerschmettern … Nein, es bleibt ganz! …
Wie lange? Wie lange?

Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
die menschenfressenden Rosse daher;
die schnauben und schäumen.

Wie hechelnde Hast sie zusamenzwingt!
Eins auf den Nacken des anderen springt
mit stampfenden Hufen.

Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? – ein Boot, das landwärts hält –
Sie sind es! Sie kommen! - -

Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt . . .
Still! -  ruft da nicht einer? – Er schreit’s durch die Hand:
„Sagt Mutter, ‚s ist Uwe!“

Otto Ernst (Schmidt)

Die Teilung der Erde von Friedrich von Schiller

Auch dieses Gedicht, das uns Frau Irma Müller aussuchte, stammt aus ihrem alten Schulbuch "Zum Sehen geboren - zum Schauen bestellt".
DIE TEILUNG DER ERDE

„Nehmt hin die Welt!“ rief Zeus von seinen Höhen
den Menschen zu. „Nehmt! Sie soll euer sein.
Euch schenk‘ ich sie zum Erb‘ und Lehen;
doch teilt euch brüderlich darein!“

Da eilt, was Hände hat, sich einzurichten,
es regte sich geschäftig jung und alt.
DerAckermann griff nach des Feldes Früchten,
der Junker birschte durch den Wald.

Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher fassen,
der Abt wählt sich den edlen Firnewein,
der König sperrt die Brücken und die Straßen
und spricht: „Der Zehente ist mein.“

Ganz pät, nachdem die Teilung längst geschehen,
naht der Poet, er kam aus weiter Fern‘;
ach, da wir überall nichts mehr zu sehen
Und alles hatte seinen Herrn.

„Weh mir! So soll ich denn allein von allen
vergessen sein, ich, dein getreuster Sohn?“
So ließ er laut der Klage Ruf erschallen
Und warf sich hin vor Jovis Thron.

„Wenn du im Land der Träume dich verweilet“,
versetzt der Gott, „so hadre nicht mit mir!
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?“
„Ich war“, sprach der Poet, „bei dir.

Mein Auge hing an deinem Angesichte,
an deines Himmels Harmonie mein Ohr;
verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
berauscht, das Irdischer verlor.“

„Was tun?“ spricht Zeus, „die Welt ist weggegeben,
der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
so oft du kommst: er soll dir offen sein.“

Friedrich von Schiller

Sonett Nr. 20 von William Shakespeare

Thomas Knorra aus Heidelberg hat dieses Sonett von William Shakespeare übersetzt und in unsere Sammlung eingereicht. Die Rechte an der Übersetzung bleiben selbstverständlich bei ihm. Der große Dichter schrieb das Gros seiner Sonette übrigens vermutlich zwischen 1592 und 1593, als die Theater zum Schutz vor der Pest geschlossen waren.
SONETT NR. 29

Wenn ich im Schimpf vor Mensch und Schicksal bin,
Mein Außenseitertum lautstark bewein',
Den tauben Himmel störe ohne Sinn,
Und meinem Schicksal fluch', so ganz allein,

Gern einer wär', der sich in Hoffnung sonnt,
Mit Freundeskreis wie der, wie der begabt,
Mir dessen Kunst wünsch', jenes Horizont,
Wenn mich nicht mal, was ich genieße, labt,

Mein Geist sogar zur Selbstverachtung neigt,
Jedoch ich an dich denk', komm ich mir vor
Wie eine Lerche, die frühmorgens steigt
Vom Grund und Hymnen singt am Himmelstor.

Denk ich an deine Liebe, bin ich reich,
Verschmähte dafür jedes Königreich.

William Shakespeare

Eine Art Haiku von Thomas Knorra

Thomas Knorra übersetzt nicht nur Gedichte aus dem Englischen. Er dichtet auch selbst. Zwei seiner Gedichte hat er unserer Sammlung zur Verfügung gestellt.
EINE ART HAIKU

der himmel so blau
heller sonnenschein schüttelt
die kirschblüten auf

Thomas Knorra

Weiße Wolken von Thomas Knorra

Und das zweite Gedicht von Thomas Knorra:
WEIßE WOLKEN

Wunderschöne weiße Wolken.
Wen sie fliehen? Wem sie folgen?

So wie sie im Wind entstehen,
werden sie im Wind vergehen.

 Thomas Knorra

Rhein, Du silberner Fluss von Elvira Künstler

Aus ihrem reichen Schaffen von über 100 Gedichten wählte uns Elvira Künstler das Gedicht über den Rhein aus. Als Mannheimerin zieht es sie oft an die Ufer dieses Flusses. Wer kann dies nicht nachvollziehen?
RHEIN
DU SILBERNER FLUSS  

Silberner Fluss
silbernes Band
du trennst und verbindest,
du verlierst und findest
die verirrten Seelen
an deinem Strand.

Den Sehnenden / Glücklichen
zeigst du dein Gesicht,
dem traurigen Auge öffnet
dich deine Schönheit nicht.

Führst alles mit was
man dir anvertraut:
Glück, Freude und Sorgen.
In grossen Wogen sind
Lebensträume, Wünsche,
Hoffnungen in dir geborgen

Trägst unsere Träume
ruhig und verschwiegen
als Silberband
dem Meere zu

Lass' mich weilen
an deinen Ufern,
bleib' bestehen
in deiner Kraft,  
verwehr' mir deine
Schönheit nicht,
als silbernes Band
in meines Herzens Hand

Elvira Künstler

Ein Gedicht von Sonja Schwendner

Herr Löffel und Frau Gabel von Christian Morgenstern

Ausgewählt von Claus Klippert
HERR LÖFFEL UND FRAU GABEL

Herr Löffel und Frau Gabel,
die stritten sich einmal.
Der Löffel sprach zur Gabel:
„Frau Gabel, halt den Schnabel,
du bist ja bloß aus Stahl!"

Frau Gabel sprach: „Herr Löffel,
Ihr seid ein großer Töffel
mit Eurem Gesicht aus Zinn,
und wenn ich Euch zerkratze
mit meiner Katzentatze,
so ist Eure Schönheit hin!"

Das Messer lag daneben
und lachte: Gut gegeben!
Der Löffel aber fand:
mit Herrn und Fraun aus Eisen
ist nicht gut Kirschen speisen,
und küsste Frau Gabel galant -
die Hand.

Christian Morgenstern

Blaue Hortensie von Rainer Maria Rilke

Eingereicht von Elke Leistert. Sie schreibt dazu: "Ich liebe diese Aufzählung der Farben, der Adjektive stumpf, rauh, etc. Es entsteht eine mich immer wieder berührende Stimmung, die aber am Ende  aufgelöst wird durch das rührende Blau, das sich vor Grünem freut."
BLAUE HORTENSIE

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.


Rainer Maria Rilke

Vor dem Gewandhaus von Michael Augustin

Eingereicht von Manfred Klenk.
Herr Klenk schreibt dazu:  "Das Gedicht wurde 2018/2019 von der Leipziger Lyrikgesellschaft unter zehn nominierten Gedichten zur Leipziger Buchmesse 2019 „Leipzig liest“ erstmals veröffentlicht. Der Mannheimer Literaturverein „ Die Räuber 77“, dem ich angehöre, hat die Zusage von Michael Augustin, dieses Gedicht öffentlich zu rezitieren bzw. mit Bezug auf den Verfasser zu veröffentlichen." Dafür danken wir herzlich.
VOR DEM GEWANDHAUS

 Als man Anno Sechsunddreißig
 Über Nacht das Denkmal
 Des Felix Mendelssohn
 Vom Sockel holte
 Und seine Musik verbot

 Sollen die Vögel von Leipzig
 Seine Melodien stellvertretend
 Weitergezwitschert haben
 Für ein paar Jahre

 Zur Freude der einen
 Zur Wut der anderen

 Dann aber war nur noch
 Geheul in der Luft von Sirenen
 Und Das Dröhnen von Pauken

 Wagner, sagten die Leute
 Das ist von Wagner

Michael Augustin

Bitte von Hilde Domin

Dominique Gründler hatte das Gedicht "Bitte" von Hilde Domin für die Lesung in der Alten Sternwarte ausgesucht. Leider können wir es hier nicht veröffentlichen. Die Rechte für die Werke von Hilde Domin liegen beim Verlag. Deshalb steht an dieser Stelle nur ein kurzes Zitat, das sicher Lust auf die Lektüre des gesamten Gedichts macht.
BITTE

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen
wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut
....
....
....
 

Kunst ist Freiheit

Ein Gedicht von Helene aus dem Oktober 2016.
KUNST IST FREIHEIT

Ausdruck der Gestalt
Gedanken werden weit
Hülle zu eng
der Kopf ist es leid

Aus-Druck
Raus der Druck
Pinsel, Kanal der Energie
Tasten, erlösen die Fantasie
Die Töne tragen Aggression, Vision,
befreiende Eskalation.

Helene, Oktober 2016

Der Wald

Und noch ein Gedicht von Helene. Nun aus dem Mai 2017.
DER WALD

Er nimmt mich auf wie einen Freund
singt mir seine Lieder
lässt mich ruhen auf dem Blattgefieder

die müden Füße sinken tief
in die warme Erde ein
es ist,als ob ein Freund mich rief
Er lässt mich einfach sein.

die Wurzeln ziehen mir die Last
Das Blätterdach das schützt mich
Im Wald da gibt es keine Hast
Da ist man frei und glücklich

Helene, Mai 17

Meine Havel

Christian Wöhler aus Schleswig-Holstein wurde über unsere Twitter-Seite auf unsere Aktion aufmerksam und sandte uns dieses schöne, selbstverfasste Gedicht.
MEINE HAVEL

Dein Wasser glitzert wie ein Diamant.
Bäume spenden Ruh' am Uferrand.
Über mir die Vögel zieh'n.
Man selbst dem Alltag kann entflieh'n.

Das Wasser sanft beginnt zu schäumen.
Versinkt man bald in seinen Träumen.
Aus den Fluten steigen auf die Märchenwelten,
Wo nur des Träumers Regeln gelten.

Man lässt sich treiben mit all' seinen Sinnen,
Und kann Deinem Charme doch nicht entrinnen.
Selbst wenn man wollte, man könnt sich nicht befreih'n
Wirst immer die Zukunft der Träumer sein.

Christian Wöhler

No man is an island von John Donne

Gisela Stadtfeld wählte ein Gedicht des englischen Dichters und Politikers John Donne aus, das in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstand.
NO MAN IS AN ISLAND

No man is an island
Entire of itself,
Everyman is a piece of the continent,
A part of the main.
If a clod be washed away by the sea,
Europe is the less.
As well as if a promontory were.
As well as if a manor of thy friend‘s
Or if thine own were:
Any man‘s death diminishes me,
Because I am involved in mankind,
And therefore never send to know for whom the bell tolls,
It tolls for thee.

John Donne

Mein "Weekend-Häusel" von Hanns Glückstein

Norbert Leidig schickte uns sein Lieblingsgedicht gleich als ganze Fotoseite.

Gingo Biloba von Johann Wolfgang von Goethe

Dorothee Weber sandte uns dieses Gedicht in seiner Urfassung zu.
GINGO BILBOA

Dieses Baums Blatt, der von Osten,
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie‘s den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen?
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es Zwei? Die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn,
Fühlst Du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin?

Johann Wolfgang von Goethe

Wie ich dich liebe? von Elizabeth Barrett Browning

Dr. Uta Stahl wählte dieses Gedicht aus dem 19. Jahrhundert für uns aus.
WIE ICH DICH LIEBE?

Wie ich dich liebe? Lass mich zählen wie.
Ich liebe dich so tief, so hoch, so weit,
als meine Seele blindlings reicht, wenn sie
ihr Dasein abfühlt und die Ewigkeit.

Ich liebe dich bis zu dem stillsten Stand,
den jeder Tag erreicht im Lampenschein
oder in Sonne. Frei, im Recht, und rein
wie jene, die vom Ruhm sich abgewandt.

Mit aller Leidenschaft der Leidenszeit
und mit der Kindheit Kraft, die fort war, seit
ich meine Heiligen nicht mehr geliebt.

Mit allem Lächeln, aller Tränennot
und allem Atem. Und wenn Gott es giebt,
will ich dich besser lieben nach dem Tod.

Elizabeth Barrett Browning

Mittelhochdeutsche Lyrik - Namenlose Stücke

Von Jürgen Althoff wurde dieses Gedicht ausgewählt, an dem der Sohn seines Deutschlehrers Conrady mitwirklte. Herr Althoff schreibt zu seiner Auswahl: "Zur Zeit der verordneten Isolation und Abraten persönlicher Kontakte, dürften diese Maßnahmen besonders für die ohnehin oft schwierigen Fernbeziehungen ganz besonders problematisch sein. Ich habe mich an meine Schulzeit erinnert und in einem Gedichtband eine Formel für den weiteren Zusammenhalt gefunden, wozu die erste Strophe das Wesentliche aussagt:"
Namenloses Stück Mittelhochdeutscher Lyrik

Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen:
verlorn ist daz slüzzelîn.
dû muost immer drinne sîn

Seelenfrieden von E.M.R

Von Elisabeth Röth erreichte uns dieses Gedicht:
SEELENFRIEDEN
 
Wenn ich hier eingetreten bin,
merk ich sofort die Stille in mir drin.
Meine Gedanken tragen mich ganz weit fort,
an einen geheimen Ort.
 
Keiner wird es je erfahren,
was meine Gedanken hier waren.
Die Ruhe meine Seele sanft berührt
und mein Herz klopft leise vor sich hin,
bis ich mich wieder löse,
von dem Traum und meine Gedanken,
lassen dem Alltag wieder Raum.
 
Minuten lang habe ich es genossen,
für mich alleine und verschlossen,
meine Lippen waren,
nur die Gedanken haben mich getragen.
Träume sollte jeder Mensch noch haben,
dann kann man das Leben leichter ertragen.
 
Die Stille des Raumes gibt Dir Ruhe und Kraft,
wenn Deine Seele sich mit den Gedanken verbindet,
um die richtige Entscheidungen zu finden.
Nicht immer nur an andere denken,
auch Dich selbst mal beschenken.
Der Weg ist meistens lang, dies zu erkennen,
aber nie zu spät sich selbst noch zu finden.
 
Die Zeit im Leben, zum Leben viel zu kurz,
Du musst es leben heut und jetzt,
bevor die Kraft dich mal verlässt.
Lass das Glück in die Gedanken rein
und dich für immer glücklich sein.
 
Nun geh ich fort, von diesem schönen Ort,
wo Ruh und Stille mich getragen,
ich hör die Glocken leise schlagen.
Die Tür hier immer offen steht,
für jeden der das Leben schwer erträgt.
Nur Glück und Zuversicht sollen mich ab
jetzt bekleiden, der Frieden in mir wird
mir den Weg nun weisen.

E.M.R.

Die Ehre dieser Welt von Theodor Fontane

Im Februar startete das LeseZeichen Mannheim mit einem LeseSalon Theodor Fontane in das Lesejahr 2020. Selbstverständlich darf dieser große Chronist des 19. Jahrhunderts in der Gedichtesammlung zum Welttag der Poesie nicht fehlen. Ausgewählt wurde das Gedicht durch Raimund Gründler, dem Kurator des LeseZeichens.
DIE EHRE DIESER WELT
 
Es kann die Ehre dieser Welt
Dir keine Ehre geben,
Was dich in Wahrheit hebt und hält,
Muss in dir selber leben.

Wenn's deinem Innersten gebricht
An echten Stolzes Stütze,
Ob dann die Welt dir Beifall spricht,
Ist all dir wenig nütze.

Das flücht'ge Lob, des Tages Ruhm
Magst du dem Eitlen gönnen;
Das aber sei dein Heiligtum:
Vor dir bestehen können.

Theodor Fontane

Hepatitis C von Werner Moser

Ein Gedicht von Werner Moser. Es entstand während einer einjährigen Krankheit.
HEPATITIS C

Geschwächt – ohne Lust am Leben
Arznei – die Viren zu töten!
Schleich ich entlang der Stunden
von vormittags bis zum Dunkeln.

Will niemand sehen oder hören
trotz schönsten Sommersonnenschein.
Zu trinken gibt es kaltes Wasser
und keinen Tropfen trocknen Wein.

Selbst die Musik will nicht mehr wirken
wozu sie vorgesehen ist.
Und das noch 24 lange Wochen
ach, ob ich´s je zu Ende bring?

Ruth unterstützt mich sehr und voller Liebe
und manchmal auch mit Zähnefletschen,
da ich ihr oft nicht folgen kann
im alltäglichen Getriebe.

Mag bleiben die fragile Zuversicht,
auch noch die nächste Zeit zu überstehen.
Im neuen Jahr wird sich´s erweisen
was dieser Virus dann noch kann.

Dann soll das Leben neu beginnen
mit aller Kraft, die ich noch haben kann.
Und denk zurück an dieses Tal
mit Dank, dass es durchschritten!

Werner Moser

Für meine geliebte Frau von Helmut Schäfer

Ein sehr persönliches Gedicht sandte uns Helmut Schäfer.
FÜR MEINE GELIEBTE FRAU

Wir leben einmal nur
dies unser Leben

Und legen Jahr um Jahr dazu.
Doch kein Geschenk
vermag es eben,

dir mehr zu geben,
als uns allen

- Du !

Helmut Schäfer

Alte Aula von Helmut Schäfer

Ein zweites Gedicht von Helmut Schäfer.
ALTE AULA
(Universität Heidelberg)

Auch du sprichst zu mir, du altes Gestühl.
Hörst Worte, zu weise, um es zu machen.
Und plötzlich ergreift mich ein großes Gefühl,
Als wollt' ich voll Traurigkeit lachen.

Nichts, was mir Heimat gibt zum leben,
mich lieben läßt, gleich einem Meer.
Nur dies: mich suchend vergeben
und spüren,
wie alles leichter wird und dennoch schwer.

Helmut Schäfer

Sonette an das Jahr von Helmut Schäfer

Helmut Schäfer sandte uns noch inen weiteren Einblick in sein reiches Schaffen.
SONETTE AN DAS JAHR

Oft schon bin ich diesen Weg gegangen.
Ob es nicht doch Erinn’rung war?
Erst letztlich wieder, schrecklich klar,
hielt Furcht von neuem mich gefangen.

Wie ‑ es wagen, wirklich ich zu sein;
Dem Mitleid widersprechend, sagen
daß, Antwort nur auf diese Fragen
mein Leben sei, sonst nichts allein?

Ein Rufen dann, so zart wie Blüten-
blätter von Mohn in allzufrühem Schnee,
die blutend stumm verglühten.

Ein neuer Sommer kommt und mit ihm Klee.
Vergeblich Zärtlichkeiten sich bemühten.
In meinem Herzen wächst erneut das Weh.

Helmut Schäfer

Der Mond von Axel Jägers

Gleich mit Bild gestaltete Axel Jägers sein Gedicht "Der Mond".

Der Pilot von Axel Jägers

Noch ein zweites Gedicht von Axel Jägers.

Der Panther von Rainer Maria Rilke

Eingesant von Ursula Herrwerth.
DER PANTHER
IM JARDIN DES PLANTES, PARIS


Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke

Die Fabel vom Unkraut von Martin Raschke

Heidi Heinigin sandte uns diesese Fabel. Sie schrieb dazu: "Dieses Gedicht gefällt mir so, weil ich es heute immer noch aktuell finde, da wir Menschen die Natur nur in nützlich und schädlich für UNS einteilen und das große Ganze aus den Augen verlieren. Ich finde, wir sollten bescheidener sein und auch der Natur ihre Daseinsberechtigung lassen, denn WIR sind die größten Schädlinge auf Erden."
DIE FABEL VOM UNKRAUT

Hirtentäschel sprach zur Melde:
„Warum haben wir kein Beet?
Sebst aus seinem größten Felde
mürrisch uns der Bauer jät.

Raps und Leinen sind von allen
wohlgelitten und gehegt,
plumpe Rüben auch gefallen,
und die Erbse wird gepflegt.

Sind wir denn von mindrer Güte
als des Krautes blauer Kopf?
Zierten wir nicht manche Hüte,
flochten Kränze manchem Schopf?“

Und die Nessel und die Möhre
mischten ihre Stimmen ein,
auch des Schachtelhalmes Föhre
wollten nicht verachtet sein.

Schickten drum zu jenem Gotte,
der sie spielend einst gebar.
„Löse uns von diesem Spotte!“
rief der Blumen Klägerschar.

Winde schwenkte weiße Glocken,
Distel ihren Dornenhut,
um den Gott zu sich zu locken,
werbend um sein Gnadengut.

„Ach, wenn nicht die Kinder wären
und die Bienen nimmersatt“,
schrien sie unter Honigzähren,
„längst wärn wir des Blühens satt.“

Beugte sich der Gott zu jeder,
hob sie vor sein Angesicht,
pries der Nelke rote Feder
und des Senfkrauts gelb es Licht.

„Blüht ihr nicht vor meinem Auge?“
Mahnte mild, der sie gemacht.
„Fragt ich, ob der Mensch mir tauge,
reuten müßt ich   Tag und Nacht.“

Martin Raschke

Eine kleine Weile wartet.... von Bertolt Brecht

Und noch ein Gedicht von Bertolt Brecht, von dem wir nur eine kurze Passage zitieren dürfen. Erst ab 2027 können die Werke dieses Autors lizenzfrei genutzt werden. Heidi Holme hat dieses Gedicht ausgesucht, das gerade für diese schwierigen Tage besonders passend erscheint.
EINE KLEINE WEILE WARTET…

Ihr Verzweifelten!
Meint ihr die Sonne sei untergegangen
Weil ihr blind seit?
......
......

Seltsam im Nebel zu wandern von Hermann Hesse

Auch das zweite Gedicht, das Heidi Holme ausgesucht hat, ist leider noch nicht gemeinfrei. Hermann Hesse verstarb 1962. Damit können seine Werke erst ab 2033 frei genutzt werden. Zum Beispiel durch Darstellung im Internet. So kann auch hier nur empfohlen werden, das Gedicht in einem schönen Gedichteband nachzulesen.
SELTSAM IM NEBEL ZU WANDERN

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
......
......

Das Blatt Papier von Marko Müller

Ein Gedicht von Marko Müller zum Abschluss dieser Sammlung - mit einer augenzwinkernden Hoffnung für die Zukunft des Autors.
DAS BLATT PAPIER

An einem reinen, weißen Blatt,
sieht man sich schon sehr bald satt.

Es wird erst schön durch Schrift und Bild,
so das es zu erhalten gilt.

Ist darauf ein Bild zu seh`n,
kann man die Sache ja versteh`n,
solche Freude nicht verkehrt,
am schönen Bild und an dem Wert.

Manches Blatt mit vielen Worten,
wird verkauft an andern Orten.

Auf Auktionen für viel Geld,
nur weil das Blatt mit Schrift bestellt.

Nur weil das Blatt von Goethe war,
zahlt man Summen wunderbar.

So bleibt die Hoffnung mir zum Schluß,
dies Blatt mal sehr viel Wert sein muß.

Marko Müller
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