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Poesie von Anja Kampmann

Raimund Gründler • März 21, 2021

"Der Hund ist immer hungrig" - Poesie zum Nachdenken

„Erinnerungen sind ein Pfund, mit dem sich dichterisch wuchern lässt. Für Anja Kampmann bedeuten Flashbacks eine Quelle enormer Produktivität.“ stellt der MDR-Literaturkritiker Ulf Heise bei der Besprechung des neu erschienenen Gedichtbands von Anja Kampmann fest. Und in der Tat erwecken viele der Gedichte in dem neu vorgelegten Band „Der Hund ist immer hungrig“ den Eindruck, dass sie zurückblicken in die noch gar nicht so lange zurück liegenden Jugendjahre der Autorin. Die Verse setzen Landschaft und Gesellschaft in Relation, erzählen vom Marschland und vom Mädchen auf dem Spielplatz, von der naiven Sehnsucht nach dem großen Leben und von Klassenkameraden:

in meiner klasse sitzt der sohn des schweinebauern
es saßen andere söhne. viele hatten acker, rüben
eine schwäche fürs feuerlöschen, oder schreckschuss
dennoch die apfelbäume blühten
die nächte noch kühl

Nur die Autorin kann einschätzen, wo die Erinnerung in die Fiktion übergeht. Aber ist nicht das genau das, was die literarische Arbeit ausmacht und von der reinen Biographie ausmacht. Und veröffentlichte nicht Goethe die Erinnerungen an die ersten 25 Jahre seines Lebens unter dem Titel „Dichtung und Wahrheit“? So lassen wir die indiskreten Überlegungen und erfreuen uns daran, wie virtuos Kampmann mit der Sprache umzugehen vermag und genießen ihren natürlichen, unkomplizierten Ausdrucksstil. Fähigkeiten, die übrigens auch ihre Prosaarbeiten zu dem großen Lesegenuss machen, den sie darstellen.

Sehnt sich die Jugend nach der weiten Welt, so öffnet sich auch der Gedichtband und greift zurückliegende und aktuelle gesellschaftliche Probleme, nationalsozialistische Vergangenheit, Kriege und Umweltzerstörung auf. Ein umfangreicher Anmerkungsteil ist ausgesprochen hilfreich, das die die historischen, politischen und naturwissenschaftlichen Bezüge nicht immer sofort erkennbar sind.

„Der Hund ist immer hungrig“ von Anja Kampmann ist erschienen im Hanser Verlag, 120 Seiten, 20,00 €,
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Wer heute die Vielzahl italienischer Restaurants in unseren Städten sieht, von der einfachen Pizzeria bis zum Gourmettempel, wer erlebt, mit welcher Begeisterung deutsche Touristen in Italien sich Pasta und Saltimbocca alla Romana oder al Limone hingeben, kann sich nicht vorstellen, dass es einmal anders war. Und doch war es so, wie der Literaturwissenschaftler Dieter Richter, der seit über 40 Jahren zu Italien und den Beziehungen deutscher Künstler zu diesem Land forscht, in seinem Band „Con Gusto – Die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht“ aufzeigt. Zu Goethes Zeiten galt die italienische Küche mit dem intensiven Einsatz von Knoblauch und Öl für die Reisenden aus dem Norden noch als äußerst unverdauliche, ja für den nordischen Magen und Darm sogar schädliche Küche. Lang hat es gedauert, bis die Speisen Italiens auch in deutschen Landen Einzug hielt: Zuerst exportierten wandernde „Zitronenmänner“ und „Pomeranzengänger“ die Südfrüchte in den Norden. Später brachten die Eisdielen den Duft des Südens. Es folgten die Pizzerien und besseren Lokale. Richter zeichnet die Entwicklung der Annäherung kenntnisreich nach. Immer wieder müssen die Leserinnen und Leser ob der Vorurteile schmunzeln. Und etwas tröstlich ist die Tatsache, dass die Schwierigkeiten durchaus gegenseitig waren. Italienische Gastarbeiter, die schon im 19. Jahrhundert nach Deutschland kamen, hatten auch ihre liebe Müh und Not mit Spätzle und Kartoffeln und manch italienisches Lebensmittelgeschäft in deutschen Landen hatte seinen Ursprung in der Sehnsucht vieler der neuen Mitbürger nach Spaghetti und Parmesankäse. Auch dieser Blickwinkel bleibt nicht unberücksichtigt. Vollends zur kleinen Kulturgeschichte wird „Con gusto“ wenn Richter auf die inneritalienischen Unterschiede eingeht. Nach der Einigung Italiens in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte sich schnell, dass die Norditaliener, deren Küche stark von den engen Beziehungen zu den habsburgischen Landen geprägt war, genauso mit der Küche Roms oder Neapels fremdelten, wie es vorher den Reisenden aus vielen europäischen Ländern ergangen war. „Butterküche“ oder „Ölküche“ waren auch hier die Schlagworte. Heute kaum mehr vorstellbar ist es, dass die Pizza selbst in Rom erst nach 1945 richtig populär wurde, nur kurz bevor sie in Deutschland Einzug hielt. Davor war sie ein neapolitanisches Regionalgericht. Für die Auseinandersetzung mit der italienischen Küche ist Richter übrigens prädestiniert. Hat er uns doch schon vor fast vierzig Jahren mit seinem 1984 erschienen Buch „Schlaraffenland. Geschichte einer populären Phantasie“ indirekt dorthin geführt und gezeigt, wie wir sie im 21. Jahrhundert wahrnehmen. Erschienen ist das Buch in einer bei Bücherliebhabern besonders beliebten Reihe: SALTO. Die liebevoll gestalteten kleinen roten Bände des Verlags Klaus Wagenbach stechen in jedem Bücherregal sofort heraus. Oft sind es literarische Reiseführer oder besonders sorgsam ausgewählte Texte aus dem Bereich Kunst und Kultur. Aber auch die Literatur ist gut vertreten. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie stets eine Einladung zu einer kulturellen Begegnung sind und neue Blickwinkel eröffnen. Und da fügt sich „Con gusto“ perfekt ein. „Con gusto – Die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht“ von Dieter Richter ist erschienen im Verlag Klaus Wagenbach, 168 Seiten, 20,-- €.
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