Buchtipp der Woche
Raimund Gründler • 17. Januar 2021
Eine Sammlung, die zum Nachdenken anregt

Der Hanser Verlag hat vor einigen Monaten alle pointierten Aphorismen, Epigramme und Minimalsatiren, seien sie in einem Prosa- oder Gedichtform, in dem schönen Band „Sämtliche unfrisierte Gedanken - Dazu Prosa und Gedichte“ zusammen gefasst und neu aufgelegt. Beobachtungen wie „Sein Gewissen ist rein, er benutzt es nie“, oder „Die Zeit schreitet voran. Und die Menschheit?“ oder „Die Art der Beleuchtung einer Sache ändert nichts an ihrer Wirklichkeit.“ haben auch im 21. Jahrhundert nichts von ihrer Aktualität verloren.
Auf dieses Buch aufmerksam machte uns übrigens die Buchhändlerin Dr. Annegret Thiemann über die der NDR kürzlich in einem sympathischen Beitrag berichtete. Von ihrer kleinen Dorfbuchhandlung im schleswig-holsteinischen Felde aus beliefert sie Kunden auf allen Kontinenten mit Neuheiten, vor allem aber mit antiquarischen Raritäten. Der letzte weiße Fleck auf der Weltkarte, die Antarktis, wurde nun mit der Sendung von „Sämtliche unfrisierte Gedanken“ an eine dortige Forschungsstation geschlossen. Frau Dr. Thiemanns Begründung der Auswahl hat uns aufhorchen lassen: „Wir haben das ausgewählt, weil man so schön lange darüber nachgrübeln kann. Und wenn man sechs Monate in der Einsamkeit sitzt, dann braucht man etwas, an dem man lange entlang denken kann.“ Ist das dann nicht auch genau das richtige Buch für lange Lockdown-Abende?
Sämtliche unfrisierte Gedanken - Dazu Prosa und Gedichte, 512 Seiten, Carl Hanser Verlag, 14 Euro

Am 27. Januar 2025 jährt sich zum 80igsten Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Seit 1996 wird dieser Tag in Deutschland als offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen, 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. In einer Zeit, in der Dinge, die jahrzehntelang als unsagbar galten, plötzlich wieder ungeniert verbreitet werden, in einer Zeit, in der wieder die Entrechtung von Menschen gefordert wird, ist so ein Gedenktag wichtiger und notwendiger denn je. Dabei kommt den Stimmen der Überlebenden eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten und müssen uns Mahnung für unser Handeln sein. Achtzig Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Terrorsystems wird die Zahl der Zeitzeugen leider von Jahr zu Jahr geringer. Immer weniger Menschen können den nachfolgenden Generationen aus eigener Erfahrung von den Schrecken der nationalsozialistischen Herrschaft berichten. Immer seltener werden damit die Stimmen, die aus eigenem Erleben berichten können, zu welchen Exzessen totalitäre Systeme führen können und was es bedeutet, wenn die Bewahrung der Würde jedes einzelnen Menschen unabhängig von seiner Herkunft und Religion nicht mehr oberste Maxime eines Staates ist. Umso wichtiger ist es, dass die Texte, die uns Überlebende hinterlassen haben, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sie machen am Einzelschicksal deutlich, was die totale Entrechtung jeweils für einen einzelnen Menschen bedeutete. Solche Bücher müssen immer wieder neu diskutiert und weiter gegeben werden damit die Erinnerungen dieser Menschen im öffentlichen Gedächtnis nicht verblassen. Drei dieser Bücher wollen wir Ihnen heute am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus besonders empfehlen. Max Mannheimer: Drei Leben - Erinnerungen „Drei Leben“ das sind die unbeschwerte Jugend vor dem Anschluss des Sudentenlandes an das Deutsche Reich, das Überleben der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau, und das Leben danach, das Mannheimer trotz seiner Erlebnisse tatkräftig und optimistisch gestaltete. Primo Levi: Ist das ein Mensch Der Bericht des italienischen Ausschwitz-Überlebenden wurde bereits 1947 veröffentlicht. Er gehört also zu den frühesten niedergeschriebenen Zeugnissen. Bis heute gilt er als eine der eindrucksvollsten Beschreibungen des Terrors und des Schreckens in den Konzentrationslagern. Ginette Kolinka: Rückkehr nach Birkenau – Wie ich überlebt habe Kolinka wurde aus ihrer französischen Heimat nach Auschwitz verbracht. Durch den nüchternen Stil ihrer Erzählung erfassen die Schrecken des Lageralltags mit Angst, Hunger, Dreck und Gestank die Leserinnen und Leser besonders unvermittelt. Dies sind nur drei Leseempfehlungen. Viele andere Lesenswerte Bücher bleiben ungenannt. Eine viel umfassendere Liste hat das Kulturmagazin Perlentaucher zusammengestellt, die wir Ihnen empfehlen und die Sie hier finden .

Schon über zwei Monate tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Intensiv wird in Deutschland die Frage diskutiert, wie vor diesem Hintergrund mit russischer Kultur und russischen Künstlern in Deutschland umgegangen werden soll. Wir stellen Ihnen heute einen Roman vor, der einen Blick ins oppositionelle Russland gewährt, der aber auch erahnen lässt, wieso eine wirkungsvolle Opposition gegen Wladimir Putin schon in den letzten Jahren nicht zustande kam.